Diskussion Angehörigen-Entlastungsgesetz

  • Hallo Leute


    In diesem Thread schlage ich eine Diskussion des AEG in seiner beschlossenen Fassung vor: Welche Konsequenzen ergeben sich? Welche Fragen bleiben offen? Welche neuen Fragen stellen sich?


    dies ist die neue Einfügung in den § 94 SGB XII, der den Übergang auf das Sozialamt regelt:


    "Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern sind nicht zu berücksichtigen, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des Vierten Buches beträgt jeweils mehr als 100 000 Euro (Jahreseinkommensgrenze). Der Übergang von Ansprüchen der Leistungsberechtigten ist ausgeschlossen, sofern Unterhaltsansprüche nach Satz 1 nicht zu berücksichtigen sind. Es wird vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen nach Satz 1 die Jahreseinkommensgrenze nicht überschreitet. Zur Widerlegung der Vermutung nach Satz 3 kann der jeweils für die Ausführung des Gesetzes zuständige Träger von den Leistungsberechtigten Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen nach Satz1 zulassen. Liegen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor, so ist §117 anzuwenden. Die Sätze 1 bis 5 gelten nicht bei Leistungen nach dem Dritten Kapitel an minderjährige Kinder.“


    §117 SGB XII:


    Fragen:

    1. Unter 100 000 Euro Bruttojahreseinkommen kein Übergang von Unterhaltsansprüchen.
      • Welche Wirkung hätte dann eine RWA?
      • Sind keine Ansprüche übergegangen, bleibt Sohn/Tochter in seiner Lebensgestaltung frei!?
      • Er/sie könnte z.B. seinen Beschäftigungsumfang reduzieren, um auch in Zukunft unter 100 000 Euro zu bleiben?
      • Oder teure Weiterbildungen machen, um die Werbungskosten zu erhöhen?
      • Oder nach Kenntnis der Bedürftigkeit oder RWA noch Eigenheim erwerben, um bei Überschreiten der Grenze günstiger da zu stehen?
    2. Zur Überprüfung der Jahreseinkommensgrenze ist §117 SGB XII anzuwenden.
      • Was bedeutet "soweit die Durchführung dieses Buches es erfordert"?
      • §1605 BGB ist in dieser Stufe noch nicht anwendbar?
      • Gibt es Vor-/Nachteile aus Sicht von Sohn/Tochter, wenn $1605 BGB in dieser Stufe nicht angewendet werden kann?
      • Bedeutet das, dass ein Auskunftsanspruch des SHT nach §117 nicht damit abgewehrt werden kann, indem Sohn/Tochter die Bedürftigkeit bestreitet und zunächst Beweise über die Bedürftigkeit anfordert (§1605 BGB)?
    3. Welche Möglichkeiten bleiben, sich gegen die Behauptung "hinreichender Anhaltspunkte" zu wehren?
  • In diesem Thread schlage ich eine Diskussion des AEG in seiner beschlossenen Fassung vor: Welche Konsequenzen ergeben sich? Welche Fragen bleiben offen? Welche neuen Fragen stellen sich?

    die von dir aufgeworfenen Fragestellungen wurden bereits ausführlich hier im Forum diskutiert,

    ich habe dazu auch einen spezifischen Thread eröffnet:


    wenn die 100.000 Grenze kommt ...

    siehe hier

  • Welche Wirkung hätte dann eine RWA?

    die Rechtsfolgen einer Rechtswahrungsanzeige bleiben auch ab 01.01.2020 gleich wie vorher,

    siehe dazu § 94 SGB XII

    "(4) Für die Vergangenheit kann der Träger der Sozialhilfe den übergegangenen Unterhalt außer unter den Voraussetzungen des bürgerlichen Rechts nur von der Zeit an fordern, zu welcher er dem Unterhaltspflichtigen die Erbringung der Leistung schriftlich mitgeteilt hat. Wenn die Leistung voraussichtlich auf längere Zeit erbracht werden muss, kann der Träger der Sozialhilfe bis zur Höhe der bisherigen monatlichen Aufwendungen auch auf künftige Leistungen klagen."


    dieser Absatz bleibt unverändert


  • von der Rechtswahrungsaneige ist strikt ein Auskunftsersuchen zu trennen,

    ein Sozialamt kann gemäß § 1605 BGB, oder gemäß § 117 SGB XII, Auskunft fordern

    der gravierendste Unterschied ist,

    gemäß § 117 SGB XII kann Auskunft auch vom Schwiegerkind verlangt werden, bei § 1605 BGB nicht

    im Gegensatz zu § 1605 BGB, ist § 117 SGB XII ein Verwaltungsakt, mit § 117 SGB XII kann ein Sozialamt keine Stufenklage vor einem Zivivigericht einreichen

    mit § 1605 BGB ja, aber nur gegen den Unterhaltspflichtigen




    die Rechtswahrungsanzeige ist eine bloße Mitteilung, das Sozialhilfe gezahlt wird,

    mit Rechtsfolgen, wie in Verzug setzen (Mahnfunktion), Warnfunktion,

    und das ab jetzt Unterhalt in Höhe der geleisteten Sozialhilfe verlangt werden kann

  • aus der Gesetzesbegründung:


    "§ 94 Absatz 1a Satz 3 entspricht der bisherigen Norm des § 43 Absatz 5 Satz 2 und übernimmt die Vermutungsregel: Es wird vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen nach Satz 1 die Jahreseinkommensgrenze nicht überschreitet. Auf Grund einer überwiegenden Übereinstimmung des § 117 Absatz 1 Satz 1 und 2 mit § 43 Absatz 5 Satz 5 und Satz 6 a.F., erfolgt statt einer Übernahme dieses Normteils in §94 Absatz1a Satz5 ein Verweis auf §117. Der Verweis auf §117 erfolgt lediglich aus Klarstellungsgesichtspunkten, inhaltliche Änderungen zur bestehenden Rechtslage sollen sich daraus jedoch nicht ergeben"


    das bedeutet, die bisherigen Regeln bei der Grundsicherung sind ab 2020 auch bei den übrigen Leistungen der Sozialhilfe anzuwenden, wie bei "Hilfe zur Pflege" beim Heimaufenthalt

  • in der weiteren Diskussion ist strikt zu unterscheiden,


    - handelt es sich um die sog. "Altfälle", Unterhaltspflichtige haben bereits eine Rechtswahrungsanzeige bekommen, befinden sich noch im Clinch, oder zahlen bereits,

    oder

    - handelt es sich um Neufälle, wenn die RWA erst ab 2020 eintrudelt


    Altfälle können auch im Jahr 2020 und später vom Sozialamt weiter rechtmässig verfolgt werden, auch wenn der Unterhaltspflichtige unter der Grenze liegt

    Das neue Gesetz ist keine rückwirkende "Amnestie", sondern ist ab 01.01.2020 auf die Zukunft gerichtet

  • Welche Möglichkeiten bleiben, sich gegen die Behauptung "hinreichender Anhaltspunkte" zu wehren?

    wenn es sich um einen Altfall handelt, und der Unterhaltspflichtige hat bereits Auskunft erteilt, dann kennt ja das Sozialamt die Einkommensverhältnisse, dann sollte eigentlich klar sein, unter oder über der Grenze


    handelt es sich um einen Neufall, der Unterhaltspflichtige bekommt im Jahr 2020 eine Rechtswahrungsanzeige, eventuell mit Auskunftsersuchen gemäß § 117 SGB XII, dann hat das Sozialamt den "Beweis" zu erbringen, das hinreichende Anhaltspunkte vorliegen

    liegen die aus Sicht des Unterhaltspflichtigen nicht vor, dann kann er Einspruch einlegen


    ich persönlich würde diesen Weg nicht gehen, wenn mein Einkommen unter der Grenze liegt,

    ich würde dem Sozialamt meinen letzten Einkommensteuerbescheid zusenden, und gut ists

  • Sind keine Ansprüche übergegangen, bleibt Sohn/Tochter in seiner Lebensgestaltung frei!?

    die Wirkung der Rechtswahrungsanzeige bzgl Warnfunktion, der Unterhaltspflichtige ist in seinen finanziellen Dispositionen beschränkt, bleibt weiterhin bestehen,

    denn es könnte ja in Zukunft ein neuer Unterhaltsanspruch entstehen, wenn der Unterhaltspflichtige wieder über die Grenze rutscht

    zu diesem Aspekt gibt es nach meinem Kenntnisstand keine Urteile, wie also zukünftig die Gerichte so einen Fall beurteilen, ist aus meiner Sicht ungewiss

    ich wäre jedenfalls "sehr" zurückhaltend, was meine Dispositionen, welcher Art auch immer, anbelangt

  • Bedeutet das, dass ein Auskunftsanspruch des SHT nach §117 nicht damit abgewehrt werden kann, indem Sohn/Tochter die Bedürftigkeit bestreitet und zunächst Beweise über die Bedürftigkeit anfordert (§1605 BGB)?

    ein rechtswirksamer Auskunftsanspruch gemäß § 117 SGB XII kann nur abgewehrt werden, wenn sog. Negativevidenz besteht, das bedeutet, das unter keinen Umständen ein Unterhaltsanspruch besteht


    ein Fall dieser Art gemäß § 117 SGB XII würde vor dem Sozialgericht landen


    ein Auskunftsersuchen an das Sozialamt gemäß § 1605 BGB verhindert nicht die Rechtswirksamkeit des Auskunftsersuchen gemäß § 117 SGB XII, da sind sind die Urteile der Sozialgerichte eindeutig

  • die von dir aufgeworfenen Fragestellungen wurden bereits ausführlich hier im Forum diskutiert,

    ich habe dazu auch einen spezifischen Thread eröffnet:

    Deinen Thread hatte ich mitverfolgt. Danke, dass du ihn hier nochmals verlinkst. Dennoch sehe ich noch nicht alle Fragen erschöpfend beantwortet.


    • Nach altem Recht wurde für Grundsicherung kein Unterhalt verlangt, nach neuem Recht wird Grundsicherung auch dann noch gewährt, wenn Kinder über 100 000 Euro verdienen, inklusive Unterhaltsrückgriff. Wenn Grundsicherungsleistungen aber höher sind als Hilfe zum Lebensunterhalt, dann kann auch mehr von den Kindern zurück gefordert werden, sofern diese über 100 000 Euro verdienen?
    • Deiner Behauptung, auch unter 100 000 Euro wäre ich in meiner Disposition nicht mehr frei, möchte ich entgegen halten: Gegen mich ist kein Unterhaltsanspruch übergegangen, solange ich unter 100 000 Euro verdiene. Es gibt also auch keinen Anspruch meines bedürftigen Elternteils und/oder des SHT, dass ich mein Leben so gestalte, um möglichst leistungsfähig zu werden. Ich wäre als junger Betroffener mit noch jungen bedürftigen Eltern für die nächsten 10, 20 Jahre in meiner Disposition eingeengt. Wir wissen ja heute nicht, ob 100 000 Euro in 15 Jahren noch ein riesiges Einkommen sind.


    1. ...
    2. Zur Überprüfung der Jahreseinkommensgrenze ist §117 SGB XII anzuwenden.
      • Was bedeutet "soweit die Durchführung dieses Buches es erfordert"?
      • §1605 BGB ist in dieser Stufe noch nicht anwendbar?
      • Gibt es Vor-/Nachteile aus Sicht von Sohn/Tochter, wenn $1605 BGB in dieser Stufe nicht angewendet werden kann?

    Eine Freundin wohnt wenige Kilometer von mir hinter der holländischen Grenze. Für sie könnte §117 SGB XII nicht angewendet werden (§30 SGB I).

  • Deiner Behauptung, auch unter 100 000 Euro wäre ich in meiner Disposition nicht mehr frei, möchte ich entgegen halten: Gegen mich ist kein Unterhaltsanspruch übergegangen, solange ich unter 100 000 Euro verdiene.

    so explizit habe ich das nicht gesagt, ich habe auf die rechtlichen Wirkungen einer RWA hingewiesen,

    wie sich Sozialämter bzw. Gerichte in dieser Frage aufstellen, wird sich zeigen

  • sind in der Höhe identisch

    Danke! :thumbsup:

    so explizit habe ich das nicht gesagt, ich habe auf die rechtlichen Wirkungen einer RWA hingewiesen,

    wie sich Sozialämter bzw. Gerichte in dieser Frage aufstellen, wird sich zeigen

    Bisher ging ich davon aus, dass ein SHT mit der RWA mitgeteilt hat: Wir leisten Sozialhilfe und der Unterhaltsanspruch ist auf uns übergegangen. Richtig?


    Das bedeutet, ohne bürgerlich-rechtlichen Übergang eines Unterhaltsanspruchs keine RWA. Ins Blaue hinein einfach RWA rausschicken ist nicht. Frühestens möglich wäre eine RWA dann entweder, wenn es aus Sicht des SHT genügend Hinweise auf Einkommen über 100 000 Euro gibt, oder wenn das durch Auskunft nachgewiesen wurde.


    https://www.anwalt24.de/lexikon/rechtswahrungsanzeige

    https://www.rechtsportal.de/Fa…s/R/Rechtswahrungsanzeige

    https://www.juraforum.de/lexikon/rechtswahrungsanzeige


    Also wer ab 2020 neu einen bedürftigen Elternteil hat und unter 100 000 Euro hat, der steht nicht unter der Einschränkung einer RWA und ist frei in seiner Lebensgestaltung!??

    Eine Freundin wohnt wenige Kilometer von mir hinter der holländischen Grenze. Für sie könnte §117 SGB XII nicht angewendet werden (§30 SGB I).

    ist mir bekannt, nur kümmert das viele Sozialämter nicht

    Ach, Unikat, es freut mich natürlich, dass dir das bekannt ist :rolleyes: Meine Frage von oben wäre dann also für UHP im Ausland entscheidend?

    1. ...
    2. Zur Überprüfung der Jahreseinkommensgrenze ist §117 SGB XII anzuwenden.
      • ...
      • §1605 BGB ist in dieser Stufe noch nicht anwendbar?
  • Bisher ging ich davon aus, dass ein SHT mit der RWA mitgeteilt hat: Wir leisten Sozialhilfe und der Unterhaltsanspruch ist auf uns übergegangen. Richtig?

    das gilt soweit auch zukünftig, außer:

    "Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern sind nicht zu
    berücksichtigen, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des Vierten Buches beträgt jeweils mehr als 100 000 Euro (Jahreseinkommensgrenze). Der Übergang von Ansprüchen der Leistungsberechtigten ist ausgeschlossen, sofern Unterhaltsansprüche nach Satz 1 nicht zu berücksichtigen sind.
    "


    ob tatsächlich ein rechtswirksamer Übergang stattfindet, hängt davon ab, über oder unter der Grenze


  • das gilt soweit auch zukünftig, außer:

    "Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern sind nicht zu
    berücksichtigen, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des Vierten Buches beträgt jeweils mehr als 100 000 Euro (Jahreseinkommensgrenze). Der Übergang von Ansprüchen der Leistungsberechtigten ist ausgeschlossen, sofern Unterhaltsansprüche nach Satz 1 nicht zu berücksichtigen sind.
    "


    ob tatsächlich ein rechtswirksamer Übergang stattfindet, hängt davon ab, über oder unter der Grenze


    Aber ohne "rechtswirksamen Übergang" keine RWA!?