Welcher Rechtsanwalt ist der richtige für mich?

  • Ihr Lieben,


    wie weiter oben schon angekündigt, hier ein paar Gedanken zum richtigen Rechtsanwalt. Da inzwischen wohl jeder Rechtsanwalt eine eigene SEite im www hat, man also nicht mehr auf den Anwalt um die Ecke angewiesen ist, und die Anpreisungen auf den Seiten wirklich beeindruckend sind, will ich mal versuchen, ein paar Infos als Entscheidungshilfe auf den Weg zu bringen. Vorab: ich bin keine in Deutschland zugelassene Rechtsanwältin, ich mache also keine SChleichwerbung für mich oder jemanden, der mir nahe steht. Allerdings beobachte ich die Entwicklungen in dieser Branche sehr genau, einfach, weil ich für eine große international tätige Organisation immer noch Empfehlungen ausspreche.


    1. Muss es ein Fachanwalt sein?

    Typische Juristenantwort: das kommt drauf an. Ein guter Jurist muss nicht in jedem Fachgebiet fit sein, er muss in der Lage sein, sich jedes (neue) Gesetz zu erarbeiten. Und eine Praxis, die läuft, die hat mit allen gängigen Rechtsgebieten zu tun und ist da auch fit. Gängige Rechtsgebiete, das ist das Zivilrecht inkl. Familienrecht, Sozialrecht, öffentliches Recht inkl. Strafrecht. Ein spezialisierter Anwalt ist auf jeden Fall im Medizinrecht zu empfehlen, auch bei strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahren, eventuell im Insolvenzrecht, Patentrecht und im internationalen Recht. Auch im Baurecht, wenn es um eventuelle Mängel geht (keine abschließende Aufzählung). Das sind dann aber auch Anwälte, die ihre Gerichtstermine persönlich wahrnehmen, gut vorbereitet sind und (leider) nicht ganz preiswert.


    2. Anwalt vor Ort?

    Ich bin ein Fan von Anwälten vor Ort. Die kennen "ihre" Gerichte, die Staatsanwälte und auch die Anwaltskollegen, die die gegnerische Seite vertreten. Das kann von unheimlichen Vorteil sein. Da sind dann auch mal außerhalb des Gerichtssaals Gespräche möglich, die ein Verfahren sinnvoll vorantreiben, da weiß man dann auch, dass der gegnerische Anwalt gerne mal lospoltert, dass das aber alles nur Schau ist und der Einschüchterung dient. Diese Vorteile kann in den seltensten Fällen ein externer Anwalt bieten. Schwierig wird es natürlich, wenn der Wohnort des Betroffenen und der Gerichtsstand hunderte von Kilometern auseinander liegen. Ich würde mich in so einem Fall wahrscheinlich für den Anwalt an meinem Wohnort entscheiden und diesen bitten, einen geeigneten Korrespondenzanwalt, der seinen Sitz am Gerichtsort hat, herauszusuchen. DEr sollte dann das Verfahren aber kennen, und nicht unbelastet von Akten und Fallkenntnis nur im Termin zur mündlichen Verhandlung aufschlagen.


    3. Worauf muss ich noch achten?

    Der Anwalt und der Mandant müssen miteinander können. Sie müssen sich nicht lieben, aber der Anwalt sollte sich Zeit für seinen Mandanten nehmen, zwar nicht unbegrenzt, aber eben doch so, dass alles geklärt werden kann. Er sollte von Anfang an auch die finanzielle Seite der Mandatierung besprechen, sollte die Erfolgsaussichten abschätzen können. DAs Büro sollte einen geordneten Eindruck machen, die Aktenführung sollte, soweit ersichtlich übersichtlich sein. Endlose Wartezeiten sollte es nicht geben, natürlich kann immer etwas dazwischen kommen, dann kann man aber auch verschieben. Fristen sollten nicht bis zum letzten Tag ausgereizt werden, wenn es denn nicht sein muss. Das wären für mich so die wichtigsten Punkte.


    4. Was sollte ich tun, lassen?

    Pünktlich sein. Wenn ich einen Termin um 9.00 Uhr habe, dann sollte ich auch um 9.00 Uhr da sein und nicht irgendwann zwischen 9.00 und 10.00. Liberalismus (ich als echter Liberaler bestimme selbst, wann 9.00 Uhr ist) ist nicht gefragt. Bitte ALLE Unterlagen mitbringen, gut sortiert in einem Ordner und nicht als Loseblattsammlung in einer Plastiktüte. Schreibt Euch die Fragen auf, die ihr habt. WEnn ihr den Anwalt nur in RAten zahlen könnt, besprecht das gleich am Anfang. Wenn ihr merkt , dass ihr nicht zueinander kommt, dann brecht das Gespräch ab, ehe ihr eine Vollmacht unterschrieben habt, also ein Gebührentatbestand erfüllt ist.


    So, das wären für mich die wichtigsten Punkte für eine gedeihliche Zusammenarbeit. Noch ein Hinweis: ein Anwalt ist nicht schlecht, nur weil er für eure Schwiegermutter ein Verfahren verloren hat. Es gibt Verfahren, die man nicht gewinnen kann, es gibt Verfahren, die wegen ungünstiger Beweislage verloren werden, obwohl der Kläger materiell-rechtlich eigentlich hätte gewinnen müssen. Also bitte auch ein wenig Abstand vor dem eigenen Verfahren halten.


    Das war für mich so das, was wichtig ist. Wenn noch Fragen aufkommen, nur Mut, fragt hier!


    Herzlichst


    TK

  • Die Erbengemeinschaft sucht im Todesfall des Erblassers rechtlichen Beistand. Es geht um ein 1-Fam-Haus und die enterbte 2. Ehefrau (die mit Geldvermächtnis bedacht wird, Witwenrente sowieso). Gf Pflichtteilforderung

    Das Haus soll dann verkauft werden.


    Zahlreiche Vorgänge u.U.. Nimmt man einen normalen Familienrecht-Anwalt oder lieber 'Anwalt+Notar' in einer Person

  • Sabin, der Anwalt hat eine andere Funktion als der Notar. Und ein Anwalt darf nicht als Notar tätig werden, wenn er anwaltlich beraten hat. Der Anwalt ist Interessenvertreter, er weist seinen Mandanten darauf hin, welche Vor- oder Nachteile und Rechtsfolgen die bestimmte Vereinbarung haben kann, und wie optimal die Vorstellungen des Mandanten umgesetzt werden, was also so alles möglich ist. Der Notar darf diese Beratung nicht durchführen. Er ist kein Interessenvertreter, sondern neutral. Er entwirft einen Vertrag oder was auch immer nach den Angaben der Parteien und das wird dann niedergelegt. Er darf nicht einer der Parteien sagen, dass das aber sehr ungünstig sei und viel besser ausformuliert werden könnte.


    TK

  • Vielen Dank, das ist sehr hilfreich.

    Ich habe gerade einen neuen Thread zu diesem Thema eröffnet.

    Ich bin mir in meiner Situation nicht sicher, ob ich einen Familienanwalt oder einen Immobilienanwalt brauche. Ich bin auch verwirrt für meine Situation (nicht Deutsch Muttersprachler), wenn ich weiterhin für zweisprachige Anwälte in Berlin (ca. 2 Stunden entfernt) oder nehmen Sie einen lokalen Anwalt suchen sollte...

  • Ihr Lieben,


    ich ergänze nochmals meine Empfehlungen von vor einigen Jahren, nicht weil ich meine Meinung geändert habe, sondern weil sich die Bedingungen ändern, neue Sachverhalte vermehrt dazu kommen. Es ist also eine Fortsetzung.


    Es geht mir um den Bezug zum Ausland. Betroffen sind Mischehen, und wenn die auseinander gehen, kann es sehr kompliziert werden. Insbesondere, wenn man unsicher ist, nach welchem System nunmehr fortzufahren ist. Wichtig ist in diesen Fällen, dass man einen Anwalt findet, der sich gleichermaßen in beiden Systemen auskennt und abschätzen kann, welches System greift. Wie findet man diesen Beistand? Z.B. indem man sich mit dem Konsulat/der Botschaft des anderen Staates in Verbindung setzt. Die haben häufig Listen von in Deutschland zugelassenen Anwälten, die sich aber auch in dem anderen System auskennen. Eventuell auch über soziale Anlaufstellen für Ausländer, über Vereine.


    So, das war meine Ergänzung. Ich werde hier in nächster Zeit noch mal einen neuen Thread eröffnen, in welchem ich auf diese Problematik allgemeiner eingehen werde.


    Herzlichst


    TK

  • Wenn die Eheleute ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, gibt es keine zwei Systeme für das Scheidungverfahren, dieses erfolgt dann immer nach dem FamFG. Allenfalls ist das materielle Recht des Staates anzuwenden, welches die Ehe prägte, z.B. wenn die Eheleute die längste Zeit der Ehe gemeinsam im Ausland lebten.


    Das ist dann aber Sache des Richters.

    Dazu braucht man also nicht zwingend einen speziellen Anwalt, das dürfte jeder Anwalt hinbekommen, welcher Familienrecht als einen seiner Tätigkeitsschwerpunkte betreibt.

  • Hi,


    meine Erfahrungen sind da leider anders. Und es gibt da ja durchaus Optionen, dass der Partner mit der nicht deutschen Staatsangehörigkeit das Verfahren in seinem Heimatland anhängig macht, trotzdem aber auch ein Anwalt in Deutschland sinnvoll ist. Und es gibt Verfahren mit Auslandsbezug, die zwar in Deutschland nach deutschem Recht geschieden werden, aber z.B. beim Versorgungsausgleich aber das andere Recht greift. Etwa wenn es auch ausländische Anwartschaften erworben worden sind. Wenn da weder das Gericht noch die beiden Anwälte mit diesem System zurecht kommen, dann wird es kritisch. Ein solcher Fall ist gerade über meinen Tisch gewandert, er verzögerte sich wegen der Unkenntnis über Jahre.


    TK