Elternunterhalt mit Auslandsbezug - greift das Angehörigenentlastungsgesetz?

  • Liebe Foristinnen, liebe Foristen,


    zur folgenden, speziellen Fallkonstellation brauche ich Euren Rat :/


    UHP 1 (Sohn, Deutscher) lebt in Deutschland.

    UHP 2 (Schwester, Tochter, Französin) lebt in Frankreich,

    Vater (Österreicher) ist im Pflegeheim (ein "besseres", für französische Verhältnisse) in Frankreich.
    Die (deutsche) Rente (Altersrente, Witwenrente, Betriebsrente) des Vaters, die nach Frankreich überwiesen wird, deckt die Kosten des Pflegeheims und der zusätzlichen Ausgaben nicht. Vermögen des Vaters ist vorhanden, wird aber nach und nach verbraucht, Der Zeitpunkt ab dem das passiert (in einigen Jahren) , ist absehbar.

    Vater beantragt (französische) Sozialhilfe.


    Im Buch "Elternunterhalt: Grundlagen und Strategien" von Jörn Hauß, 6.Auflage, Giese King Verlag (ein Tipp aus diesem Forum, das habe ich heute bekommen) ist erwähnt, dass die deutschen Gerichte das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts, also ausländisches = französiches Recht, in Deutschland anwenden müssen.

    Französischer Sozialhilfeträger wendet sich somit an ein deutsches Gericht.


    UHP2 (Schwester) ist nach französischem Recht nicht leistungsfähig. Einkommen weniger als die Rente des Vaters.

    UHP1 ist lt. dt. Angehörigenentlastungsgesetz nicht zum Unterhalt verpflichtet.


    Meine Frage:


    Geht die Anwendung des ausländischen (französischen) Rechts so weit, dass der Schutz durch das deutsche AEG durch die Anwendung französischen Rechts unterlaufen wird?

    Oder entsteht - bei weniger kritischer Betrachtung - lediglich ein Anspruch, die Berechnung des Anspruches erfolgt aber nach deutschem Recht, und somit greift das AEG?


    Ich bin gepannt auf die die Diskussion!


    viele Grüße

    Gerry

  • Hi,


    wir haben es im grenzüberschreitendem Recht durchaus, dass ausländisches Recht zur Anwendung kommt. Dieses Recht stimmt nicht unbedingt mit dem deutschen Recht überein. Ausländisches Recht kann also durchaus zur Anwendung kommen, auch wenn es mit deutschem nicht überein stimmt. Wo sind die Grenzen? Da, wo durch ausländische Regelungen gegen das deutsche Grundgesetz verstoßen wird.


    Mal ein Beispiel aus einem anderen Bereich des Familienrechts: wir hatten das Verschuldensprinzip bei Ehescheidungen schon lange kraft Gesetzes abgeschafft. Trotzdem wurde nach ausländischem Recht - wenn die Voraussetzungen vorlagen - auch nach Verschuldensprinzip des Heimatlandes geschieden. Nach deutschem Recht wird in so Fällen nur geschieden, wenn eben der Grundgesetzverstoß da ist. In Brasilien war es z.B. so (keine Ahnung, ob es immer noch so ist), dass ein Mann sich von der Frau scheiden lassen konnte, wenn sie ein außereheliches Verhältnis hatte, und sei es auch nur einen ONS. Und alle Versorgungsrechte verlor. Die Frau konnte sich jedoch nur vom Mann scheiden lassen, wenn er dauerhaft mehr als vier außereheliche Verhältnisse gleichzeitig hatte. In so Fällen haben dann die deutschen Gerichte das deutsche Scheidungsrecht angewandt.


    Zu deinem Fall zurück. Ich weiß nicht, ob es da zwischen Deutschland und Frankreich spezielle Abkommen gibt, das wäre herauszufinden. Wenn nicht, gilt das, was du nachgelesen hast und ich ja auch hier bestätigt habe.


    Noch ein Nachtrag: es kann auch sein, dass es möglich ist, den in Deutschland lebenden Sohn in Frankreich zu verklagen. Auch das müsste sich aus den französischen Zuständigkeitsgesetzen ergeben. Ein solches Urteil wäre auch in Deutschland vollstreckbar.


    TK

  • Hi Timekeeper,


    in der Zwischenzeit habe ich eine verläßliche Auskunft für diesen Fall geholt: Falls ein Elternteil mit gewöhnlichem Aufenthalt in Frankreich wirklich (französische) Sozialhilfe beantragt, kann mich der Sozialhilfetrtäger nach französischem Recht in Deutschland in Regress nehmen. Das Nette dabei ist - Gerichtsstand ist in Frankreich.

    Wie das dann exakt läuft, ist ein weites Feld. Schätze dass ich dafür Geld in die Hand nehmen und einen spezialisierten Anwalt befragen werde.

    vG Gerry2020

  • Hi,


    diese Alternative hatte ich ja auch aufgezeigt. Es bedeutet, dass der französische Sozialhilfeträger eben auch in Frankreich klagen kann. Dann ergeht ein Urteil nach frz. Sozialhilferecht. Ausländische Urteile aus der EU können problemlos in Deutschland vollstreckt werden, selbst wenn das Urteil materiell-rechtlich von deutschem Sozialrecht abweicht. Es folgt insoweit keine Überprüfung nach deutschem Recht mehr, es wird einfach geprüft, ob die Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen und das wars. Bei Nicht-EU-Ländern sind die Formalien etwas komplizierter, das Ergebnis aber letztlich genau so.


    TK

  • Hallo,


    das finde ich spannend, denn selbst in Dt. ist ja das Bundesland, in welchem der potenziell EU-Pflichtige seine Meldeadresse hat für die gerichtliche Entscheidung zuständig.


    Das habe ich selber erlebt und es gab Unterschiede bei der LL der OLG´s.


    Warum sollte also hier "ausländisches Recht" über dem deutschen Gesetzen stehen?


    Gruß


    frase

  • Hi frase,


    ausländisches Recht steht nicht "über" deutschem Recht. Es ist ein anderes Rechtssystem, welches eben dort greift, wo sich eine Zuständigkeit aus lokalen Gründen ergibt. Es geht um die Regulierung eines Sozialfalles in Frankreich und nicht um einen Sozialfall in Deutschland. Und da greift nun mal französisches Recht, Frankreich bestimmt, wie der soziale Schutz bei ihm aussieht. Umgekehrt wäre es genau so, da würde Deutschland bei einem Sozialfall bei einem französischen Staatsbürger hier bei uns bestimmen, wer wie zu zahlen hat und notfalls auch im Ausland vollstrecken. Da hätten die französischen Behörden dann auch ein deutsches Urteil zu akzeptieren, auch wenn es mit französischem Recht nicht korrespondiert.


    Ob nach französischem Recht ein Zahlungsanspruch in diesem speziellen Fall besteht, das kann ich nicht abschätzen. Dasselbe haben wir doch schon innerhalb der BRD. Soweit es um Landesrecht/kommunales Recht geht, sind die Regelungen durchaus unterschiedlich, und auch hier sind die vom eigenen lokalen Recht abweichenden Regelungen aus dem anderen Land/der Kommune zu akzeptieren.


    Im Zivilrecht, etwa in internationalen Vertragsrecht wird dem häufig Rechnung getragen, auch um endlosen Streitigkeiten über Zuständigkeiten zu vermeiden, indem man sich schon bei Vertragsschluss einigt, welches Recht, welches Gericht im Fall von Streitigkeiten zuständig ist. Da kann dann eine Vereinbarung auf das Landgericht Hamburg erfolgen unter Anwendung des Rechts, welches in dem Kaiserreich von Pippi Langstrumpfs wirksam ist. Dass man sich bei den Richtern in Hamburg dadurch keine Freunde macht, klar. Aber theoretisch ist das möglich. Grenzen sind da, wie ich bereits oben geschrieben habe. Oder eben bei Verträgen, die wegen Verstößen gegen zwingendem Recht unwirksam sein müssen. Also etwa: ich schließe einen Vertrag nach ausländischem Recht ab, nach welchem es legal ist, Schwiegermütter umzubringen. Gerichtsstand Deutschland ist vereinbart. Der Vertragspartner kommt seinen vertragl. Verpflichtungen nicht nach. Da wird das deutsche Gericht das ausländische Recht nicht anwenden.


    TK

  • Warum sollte also hier "ausländisches Recht" über dem deutschen Gesetzen stehen?



    ich würde sagen, weil das EU-Recht es so regelt

    Zitat

    https://e-justice.europa.eu/co…intenance_claims-47-de.do


    Seit dem 18. Juni 2011 gelten für Unterhaltssachen neue Vorschriften. Danach haben Unterhaltsgläubiger auch weiterhin die Möglichkeit, die Person, die Unterhalt leisten muss, vor den Gerichten des eigenen Wohnsitzstaats zu verklagen. In den meisten Fällen bestimmt sich das auf die Unterhaltspflichten anwendbare Recht nach dem Haager Protokoll von 2007

    Abkürzungen: UHP = Unterhaltspflichtige(r), UHB = Unterhaltsberechtigte(r), RWA = Rechtswahrungsanzeige, SHT = Sozialhilfeträger, AVV = Altersvorsorge(schon)vermögen


  • Meg, es ist etwas komplizierter. Das, was du da zitierst, das war zumindest in Deutschland schon immer so, zumindest die letzten Jahrzehnte. Unterhaltsgläubiger, das wäre hier ja der Vater in Frankreich konnte schon immer den Unterschaltsschuldner , hier das in Deutschland lebende Kind verklagen. Aber darum geht es hier ja gar nicht. Ist doch genau umgekehrt. Das in Deutschland lebende Kind wird möglicherweise in Frankreich verklagt. Das geht eben auch.


    In diesen Fällen gibt es in der Regel (wenn in franz. Gesetzen nicht anders geregelt, die kenne ich nicht) folgende Optionen:


    Unterhaltsgläubiger kann vor Ort (Frankreich) verklagen als Erfüllungsort, insbesondere dann, wenn es eine franz. Behörde ist. Die Behörde wird nach franz. Recht vorgehen, auch wenn es möglicherweise auch eine andere Option gibt.


    Unterhaltsgläubiger kann auch in Deutschland verklagen. Und da hat der Gläubiger "freie Auswahl." Kann also nach franz. Recht verklagen oder nach deutschem.


    Ob bei franz. Klageort auch die Wahl des franz. oder deutschen Rechts besteht, das weiß ich nicht.


    Die Erleichterungen, die es da in der EU gibt, beziehen sich im wesentlichen auf die Anerkenntnisverfahren und die Vollstreckung.


    TK

  • Nur das ich es richtig verstehe.


    Wird französische Sozialhilfe gezahlt, gilt das AEG für den in deutschland lebenden UHP nicht und er zahlt nach französischen Recht den EU.


    Gab es nich schon Länder, die den EU vollkommen abgeschafft hatten?


    Gruß


    frase

  • frase, keine Ahnung, ob Elternunterhalt in irgendwelchen Ländern schon völlig abgeschafft worden ist. In Frankreich scheint das jedenfalls nicht so zu sein. Nur die franz. Sozialbehörde wird sich kaum mühsam in deutsches Recht einarbeiten und in Deutschland verklagen. Das wäre ja völliger Blödsinn. Das Amt wird in Frankreich verklagen, und die Entscheidung von dort kann in Deutschland vollstreckt werden.


    TK

  • Hi,

    seit ein paar Stunden wühle ich mich mittels Google-Übersetzer durch französisches Unterhaltsrecht, und durch Internetseiten zum Haager Unterhaltsprotokoll:


    Hier habe ich einen interessanten Artikel gefunden:

    https://www.iww.de/sr/elternun…anwendbares-recht-f113860

    https://www.iww.de/sr/elternun…anwendbares-recht-f114662

    Wenn ich das richtig interpretiere, kann ein Unterhaltsberechtigter (entweder der Vater, oder ein SHT) mich an einem französischen Gericht nach französischem Recht auf Unterhalt verklagen, und einen Titel an einem deutschen Gericht bewirken, wenn ich nicht zahle.


    Obligation Alimentaire (Französisch)

    Google-Übersetzer: "Die Unterhaltspflicht ergibt sich aus einem napoleonischen Gesetz, das der familiären Solidarität Vorrang vor der nationalen Solidarität oder dem Eingreifen der Gemeinschaft einräumt"

    Nach französischem Recht ist die Haftung der Familie untereinander, Kinder gegenüber Eltern viel stärker verankert als im deutschen Recht, und die Gemeinschaft (also das Sozialamt) tritt erst viel später ein. Es können auch Enkelkinder in Regress genommen werden, die Schwiegerkinderhaftung ist nach französischem Recht unbegrenzt.

    Man ist angehalten, sich zuerst selber zu einigen; und kann dann vor einem Familiengericht klagen.


    Die Berechnungen die sich wohl auch noch von Departement zu Departement unterscheiden habe ich bisher nicht verstanden, erscheinen aber wesentlich einfacher als die im deutschen Recht.
    Hier eine Berechnung


    viele Grüße

    Gerry2020

  • Hi,


    es deckt sich doch mit dem, was ich geschrieben habe. Es greifen die allgemeinen internationalen Regeln für "grenzüberschreitende" Zivilrechtsfälle. Ich warne allerdings davor, einzelne gesetzliche Bestimmungen ohne Kenntnis des franz. Rechtssystems einfach zu übersetzen. Das bringt überhaupt nicht weiter ohne substantiierte Kenntnis des gesamten Systems. Auch bei uns gibt es viele Tabellen/Listen, die ganz einfach zu lesen sind, und trotzdem ist die Subsumierung eines individuellen Falls unter diese Tabellen/Listen mitunter durchaus kompliziert. Das Regel/Ausnahmeprinzip gilt nach meiner Kenntnis auch im französischen Rechtssystem.


    Falls es zu einer Forderung kommt, nimm dir bitte einen franz. Rechtsanwalt, der vor Ort ist und die dortigen Gerichte und die Rechtsprechung kennt. Auch sollte er der deutschen Sprache mächtig sein, ich kenne es aus dem System, in welchem ich gearbeitet habe, dass die Konsulate/Botschaften Listen von zweisprachigen Anwälten führen, die auch fair abrechnen und fit sind.


    TK