Alles anzeigenjeder UHP, der aktuell mehr als 100T verdient und dem ein aus seiner Sicht zu geringer Selbstbehalt zugesprochen wird, kann und m.E. sollte sich dagegen wehren und sich dabei auch auf die Argumentation der derzeitigen Mitgliedern der Unterhaltskommission des Familiengerichtstages stützen:
.. und natürlich auf die aktuelle Düsseldorfer Tabelle 2020 hinweisen in der es vermerkt ist, dass der Selbstbehalt gegenüber den Eltern die aktuelle Rechtslage nicht berücksichtigt.
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eine gute Zusammenfassung noch von
Dr. Rita Coenen, Fachanwältin für Familien- und Sozialrecht
Münster, 12.02.2020
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Jedoch bleibt aufgrund der starren 100.000 Euro-Grenze in Bezug auf die Grenzfälle bei bisheriger Anwendungspraxis die Einzelfallgerechtigkeit außer Betracht. Denn für den Fall, dass die Jahreseinkommensgrenze auch nur geringfügig überschritten wird, findet ein Übergang des Unterhaltsanspruchs auf den Sozialhilfeträger wieder statt. Sodann bemisst sich die Leistungsfähigkeit des Pflichtigen wiederum nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften (§ 1603 Abs. 1 BGB). Das vorhandene Einkommen wird von Steuerzahlungen, Vorsorgeaufwendungen wie z.B. Aufwendungen für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungen, berufsbedingte Aufwendungen, berücksichtigungsfähigen Schulden und Unterhaltsansprüchen vorrangig Berechtigter bereinigt. Zur Bemessung der Leistungsfähigkeit bleibt dann auch nicht mehr das Vermögen des unterhaltspflichtigen Kindes außer Acht. In diesem Zusammenhang müssten allerdings die bislang bestehenden Schonvermögensgrenzen noch einmal überdacht werden. Von diesem bereinigten Einkommen steht dem unterhaltsverpflichteten Kind gegenüber den Eltern ein Selbstbehalt von mindestens 2.000 Euro monatlich zu. Dieser Selbstbehalt wird wiederum um 50 % des über den Selbstbehalt hinausgehenden Einkommens erhöht. Ist das unterhaltsverpflichtete Kind verheiratet, so wird ein Familienselbstbehalt von 3.600 Euro angerechnet. Die Höhe des Sockelbetrages des Selbstbehaltes als pauschalisierter Betrag zur angemessenen Lebensführung, welcher in den Leitlinien der Oberlandesgerichte festgelegt ist, wurde jedoch nicht entsprechend der Erhöhung der Jahreseinkommensgrenze mit angepasst. Nach § 1603 Abs. 1 BGB soll die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltsverpflichteten ausgeschlossen sein, wenn sein eigener „angemessener Unterhalt“ ansonsten gefährdet wäre. Eine solche Gefährdung soll nach Umschreibung des BGH dann gegeben sein, sofern der Unterhaltsverpflichtete „eine spürbare und dauerhafte Senkung des berufs- und einkommenstypischen Unterhaltsniveaus ... jedenfalls insoweit nicht hinzunehmen [braucht], als er nicht einen nach den Verhältnissen unangemessenen Aufwand betreibt oder ein Leben im Luxus führt.“ Bei einem Jahreseinkommen von über 100.000 Euro kann man jedoch davon ausgehen, dass das berufs- und einkommenstypische Unterhaltsniveau deutlich über den monatlichen 2.000 Euro liegt. Es würde somit entgegen der Intention des neuen Angehören-Entlastungsgesetzes wiederum bereits ab einem unterhaltsrechtlich bereinigten Einkommen von mehr als 2.000 Euro zu einer Unterhaltspflicht kommen. So kann es vorkommen, dass ein Geschwisterteil, welches ein Bruttoeinkommen bezieht, das geringfügig über den 100.000 Euro liegt, aufgrund des verhältnismäßig geringen Sockelbetrages einen relativ hohen Unterhalt leisten muss, während der andere Geschwisterteil, dessen Einkommen nur knapp unter der Einkommensgrenze liegt, gar keine Leistungen zu erbringen hat. Um solche harten Übergänge zu vermeiden, müsste deshalb der angemessene Eigenbedarf deutlich angehoben werden. Für die Anpassung der Selbstbehaltsbeträge gibt es in der Literatur verschiedene Lösungsvorschläge. Eine Möglichkeit wäre, die 100.000 Euro Grenze als Gesamteinkommen eines sozialversicherungspflichtig Beschäftigten anzusehen, sodass nach Abzug von Sozialabgaben, Einkommenssteuer und (für 2020 noch) Solidarzuschlag ein Nettoeinkommen von ca. 58.000 Euro bleiben würde. Auf dieser Basis würde ein gerundeter Wert von monatlich 5.000 Euro Selbstbehalt als angemessen erscheinen. Schließlich entspricht es der gesetzgeberischen Wertung, dass bis zu einem Bruttoeinkommen von 100.000 Euro ein Rückgriff auf die Angehörigen nicht zumutbar ist. Ein anderer Ansatz wäre – in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zum Ehegattenunterhalt – den Betrag der höchsten Einkommensgruppe nach der Düsseldorfer Tabelle (zurzeit 5.101 - 5.500 Euro) anzusetzen. Nach BGH besteht nämlich bei einem unterhaltsrechtlich bereinigten ehelichen Einkommen von bis zu 11.000 Euro – mithin dem Doppelten des Höchstsatzes – die tatsächliche Vermutung eines vollständigen Verbrauchs dieses Einkommens ausschließlich für Konsumzwecke. Dieser Wert wäre im Falle eines Paarhaushaltes entsprechend zu verdoppeln, jedoch durch die Ersparnisse aufgrund gemeinsamer Haushaltsführung zu kürzen (ca. 9.000 – 10.000 Euro). Leben zusätzlich unterhaltsberechtigte Kinder im Haushalt, wäre für diese ein Selbstbehalt mindestens in Höhe der Höchstsätze der Düsseldorfer Tabelle zu berücksichtigen.
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Problematisch an der neuen Jahreseinkommensgrenze ist darüber hinaus, dass aufgrund des Abstellens auf das Bruttoeinkommen von einer Begünstigung von Beamten gegenüber abhängig Beschäftigten und Selbstständigen auszugehen ist. Während einem abhängig Beschäftigten bei einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 Euro bei Steuerklasse I und keinem Kinderfreibetrag ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von ca. 4.800 Euro, einem Selbstständigen von ca. 3.100 Euro übrig bleibt, steht einem nicht verheirateten Beamten ohne Kinder mit einem Einkommen von 100.000 Euro ein monatlicher Nettobetrag von mindestens 5.000 Euro zur Verfügung. Beamte werden somit bei einem deutlich höheren Nettoeinkommen von der Überprüfung einer Inanspruchnahme verschont. Dazu kommt, dass auch keine Rücksicht auf die unterschiedlichen Lebensverhältnisse – Singlehaushalt, wohlhabendes Ehepaar, kinderreiche Familie, hoch verschuldeter Unternehmer - genommen wird. Der Jahreseinkommensgrenze kommt daher nur die Funktion einer einfach zu handhabenden Nichtüberprüfungsgrenze zu. Dem Unterhaltsrecht ist eine Brutto-Einkommensgrenze aufgrund der völlig unterschiedlichen Nettoeinkommen bei gleichem Bruttoeinkommen aber eigentlich fremd. Die Konsequenzen einer Grenzüberschreitung für die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Kindes hat der Gesetzgeber jedoch noch nicht weiter thematisiert.
Auf eine Haftungsgemeinschaft von Geschwistern hat die Gesetzesänderung hingegen nicht so große Auswirkungen. Nach § 1607 BGB haften mehrere Geschwister anteilig nach ihrer unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit. Hieran ändert auch die nun bestehende Jahreseinkommensgrenze nichts. Der zur Zahlung verpflichtete Geschwisterteil muss weiterhin nur entsprechend seiner Quote für den Unterhalt der Eltern aufkommen, während der wegfallende Anteil vom Sozialträger übernommen wird. Der Auskunftsanspruch nach § 117 SGB XII besteht in diesen Fällen dann auch gegen die Geschwister, für die die Vermutung des Unterschreitens der Einkommensgrenze weiterhin besteht. Denn ansonsten ließe sich die entsprechende Quote nicht ermitteln und der jeweilige Anspruch des Sozialhilfeträgers gegen den Pflichtigen, der die Grenze überschreitet, nicht beziffern.
Stiftung Warentest schrieb dazu mit Verweis auf einen Elternunterhaltsrechner
ZitatGudrun Doering-Striening, Fachanwältin für Sozial- und Familienrecht aus Essen, hat Zweifel, ob das neue Recht mit dem Gebot aus Artikel 3 Grundgesetz, wesentlich gleiche Fälle gleich zu behandeln, zu vereinbaren ist. Die Unterhaltsexpertin ist für die Abschaffung des Elternunterhalts. Der ehemalige Familienrichter Wolfram Viefhues fordert in seiner Kommentierung des Unterhaltsrechts eine Anpassung des gerade erst auf 2000 Euro angestiegenen Mindestselbstbehalts: „Denn der Zweck des Gesetzes [Angehörigen-Entlastungsgesetz], Familien wirksam zu entlasten und den Familienfrieden zun wahren, darf nicht dadurch in sein Gegenteil verkehrt werden, dass bei einem nur geringfügigen höheren Einkommen ein geringerer Betrag für die eigene Lebensführung verbleibt, als einem Pflichtigen mit geringerem Einkommen zugestanden wird.“ Es bleibt abzuwarten, welchen Selbstbehalt die Gerichte künftig bei Gutverdienern ansetzen.
Auf der Internetseite der juristischen Fachzeitschrift „Familienrechtsberater“ finden Sie einen Elternunterhaltsrechner (Download des Excel-Rechners beginnt sofort nach Klick auf Link). Nutzer des Rechners können darin einen Mindestselbstbehalt von 2 000 Euro (für Ledige) einstellen (damit werden die Sozialämter sehr wahrscheinlich rechnen) oder aber mit einem Mindestselbstbehalt in Höhe von 5 000 Euro (den die Kritiker des Angehörigen-Entlastungsgesetzes favorisieren). Freilich werden viele Sozialämter unterhaltspflichtigen Kindern mit einem Jahreseinkommen von über 100 000 Euro einen Selbstbehalt von 5 000 Euro nicht ohne gerichtliche Auseinandersetzung zugestehen.